Biorausch

Macht der Ruf zurück zur Natur Mensch und Tier gesünder? Was ist dran am Biorausch im Lebensmittelmarkt der Industriegesellschaft? Zehn Fragen an den Obermeister der Frankfurter Fleischerinnung: Thomas Reichert  1)  Herr Reichert, macht der Wunsch zurück zur Natur Mensch und Tier gesünder? Nein das tut er nicht. Die Natur kennt kein Erbarmen mit Schwäche, was bedeutet, dass in dem Moment in dem wir der natürlichen Entwicklung wieder freien Lauf lassen, unsere Spezies nur noch zweiter Sieger sein wird. Das was wir Deutsche  unter Natur verstehen ist nur eine andere Form der Hege unserer Umwelt und hat mit zurück zur Natur nichts zu tun. Alles andere ist romantisches Wunschdenken. 2)  Ja aber muß das immer bedeuten, dass wir unsere Äcker mit Pestiziden behandeln und um immer mehr Ertrag zu bekommen Kunstdünger verwenden oder Massentierhaltung betreiben? Viele dieser nun angeprangerten Methoden sind dem Umstand geschuldet, dass wir in früheren Jahren- und das ist noch gar nicht so lange her- als größtes Unglück Hungersnöte durch Ernteausfälle und Nahrungsmittelknappheit in unserer Gesellschaft erfahren haben. Der Mensch hat gelernt, für eine ganzjährige Verfügbarkeit von guter Nahrung zu sorgen. Die Errungenschaften der modernen Technik und der Chemie sind so gesehen nichts schlechtes und haben dabei geholfen uns eher gesünder zu machen und zu ernähren. Siehe auch die immer mehr steigende Lebenserwartung. Die Massentierhaltung ist ein stärker von unseren eigenen Emotionen geprägtes Problem als ein tatsächliches. Wir sind eine Massengesellschaft. Sie findet übrigens auch unter Bio- Bedingungnen statt. Oder glauben Sie das Bio- Hühnerhöfe mit 10.000enden von Hühnern eine naturnahe Erscheinung sind? 3) Wie lässt sch dies dem Sinn nach mit unserer humanistisch geprägte Gesellschaftsidee vereinbaren? Das uns irgend eine andere Spezies freiwillig den Vortritt in der Evolution gelassen hat ist eher unwahrscheinlich. Und Humanismus funktioniert immer dann besonders gut, wenn man im völligen Überfluss lebt und es ein funktionierendes Gemeinwesen mit allen seinen Hegefunktionen für uns nicht ganz zahme Individuen gibt. Es ist glaube ich weniger der erlernte Humanismus als der Wunsch des grundsätzlichen Verdrängens mancher ungeliebten Wahrheit über das Leben und unsere Lebensgewohnheiten die uns heute prägen. 4)  Sind Sie ein Kulturpessimist und glauben Sie nicht, das ein Stück zurück, gerade beim Umgang mit unseren Lebensmitteln unsere Welt besser macht? Wohin zurück? In die Zeiten, als Tiergesundheit ein großes Problem war, da es keine wirksamen Medikamente gab? In die Zeiten, wo mehr Menschen deshalb gestorben sind, weil Sie Nahrungsmittel nicht vertragen haben oder falsch damit umgegangen sind und Nahrungsmittelknappheit allgegenwärtig waren?
Wir sind eine Gesellschaft von 86 Millionen Menschen. Würden Sie es akzeptieren, wenn Ihnen jemand sagt: Dein Lebensstandart wird sinken, weil Du wieder wie vor  den 60ziger  Jahren des letzten Jahrhunderts die Hälfte Deines Einkommens für Lebensmittel ausgeben mußt, was unmittelbar die Konsequenz von so weit  „zurück zur Natur wäre“
Von da herrein bin ich ein Optimist was unsere Ernährung angeht. Ich weiß, das es in Deutschland die besten und verantwortungsvollsten Landwirte weit und breit gibt, die unsere gesunde Ernährung mit Ihrer guten Arbeit und dem vernünftigen Umgang mit den zur Verfügung stehenden Mitteln und  einem schonenden Umgang mit der Natur und den Tieren gewährleisten. Und vor allem das sie dafür sorgen, das wir uns um Nahrungsmittelknappheit keine Sorgen mehr machen müssen. 5) Sie sagen: Bio ist nur ein Markenzeichen, was bedeutet das für Sie Bio ist nichts anderes, als eine mögliche Form der Lebensmittelvermarktung. Und sie funktioniert nur deshalb, weil es keiner wirklich existenziell braucht und es immer genügend Lebensmittel gibt. Ansonsten wäre es schon wieder verschwunden. Sie werden meiner Meinung nach durch eine Ernährung mit Bio- Produkten weder gesünder, noch werden Sie länger leben. Und ob es bezüglich unserer Umwelt wirklich eine Verbesserung bedeutet bleibt fragwürdig. Jedenfalls ist die Bio- Branche auch überhaupt nicht der Grund für unsere Wohlstandsgesellschaft, sondern eines der Ergebnisse unseres Überflusses. 6)  Was meinen Sie mit Ergebnisse des Überflusses? Das beispiellose Wachstum vieler von der Inlandsnachfrage geprägten Industrien wie Tourismus, Hochwertige Konsumgüter und auch die  Automobilbranche ist nur dem Umstand geschuldet, dass die Industrialisierung der Landwirtschaft zu einer in der Geschichte nie da gewesenen  Verbilligung von Lebensmittel geführt hat. Und wir alle sind eigentlich froh darüber. Denn das hat den Massenkonsum in dieser Form überhaupt erst ermöglicht. Wäre da nicht unser kollektives latent vorhandenes schlechtes Gewissen deswegen. Betrachten Sie den Kauf von Bio- Lebensmitteln  deshalb eher als eine Art einfach zu erbringenden persönlichen Ablasses. Das wirkt so ein bisschen pseudoreligiös in uns.
Das bringt mich zu der Schlussfolgerung, das Bio lediglich ein klug platziertes Premium - Segment der Nahrungsmittelindustrie und des Handels ist, bei dem es gelungen ist, die objektiven Qualitätsfaktoren komplett auszublenden und die gesamte Wertigkeit rein emotional zu fokussieren. Vom Marketing her eine fantastische Ausgangslage. Der Preis spielt fast keine Rolle. Das ist für die Produkte ein immenser Markvorsprung in der Welt des absoluten Überflusses.  7) Wo sehen Sie sich den selber in diesem Markt? Der konventionelle Fleischer erscheint da wie so ein Relikt aus der Vergangenheit zwischen all den bunten Handelsketten und Marken. Ich sehe mich als regionalen Hersteller hochwertiger Lebensmittel, mit den Methoden die uns die modernen Zeiten bieten, unter Wahrung einer handwerklichen Tradition im Bezug auf guten Geschmack und objektiv messbare Qualität meiner Produkte. Ich teile diese Haltung mit anderen regional tätigen Betrieben, die mich mit den Rohstoffen die ich benötige beliefern und biete hierdurch einen durch und durch regionalen und transparenten Kreislauf für gute Lebensmittel aus Fleisch. Mein Credo ist: Ich verkaufe nur, was ich selber auch esse. Es muß gesund sein und schmecken. Ich bin verwurzelt in einer Tradition die den Wandel der Zeit zwar mitträgt aber grundsätzlich Glaubwürdigkeit vor Profit stellt und offensichtlichem Unfug kraftvoll entgegen tritt.
Ich weiß und erkläre auch gerne, dass zu jedem Kotelett ein Schwein gehört, das sein Leben für unserer gute Ernährung gelassen hat. Ich versuche jedem Mensch, der zu mir kommt einen natürlichen Umgang mit dem wertvollen Lebensmitteln Fleisch und Wurst zu vermitteln. 8) Wo sehen Sie die Zukunft des Lebensmittelmarktes generell? In der Vielfalt. Ich gehe davon aus, dass wir es uns auch in Zukunft leisten können zu entscheiden was wir essen und wo wir es unter welchen Bedingungen kaufen wollen. 9) Wenn Sie sich zum Thema Lebensmittel etwas wünschen dürfen, was wäre es? Ich würde mir etwas mehr Ehrlichkeit und Objektivität im Umgang mit Lebensmitteln wünschen. Vieles von dem, was uns in der Vergangenheit medial  aufgetischt wurde, besonders im Hinblick auf vermeintliche Skandale, ist bei genauerem hinsehen schnell in sich zusammen gefallen, genau wie die Existenzen der Menschen die daran hingen und leichtfertig zerstört wurden. Unappetitlich war am Ende nur der Nachgeschmack, den so etwas in den Gaumen der  Beobachter hinterlässt. 10) Essen Sie eigentlich noch Fleisch und Wurst? Ja natürlich und zwar sehr gerne. Am liebsten natürlich das was ich selber hergestellt habe und von den Höfen von Partnern kommt, die ich kenne und sehr schätze. Hinweis: Kann von Mitglieder verwendet werden - auch in Auszügen.